Über Pressefreiheit, Zivilcourage und den digitalen Wandel

Mehr als 100 türkische Journalisten haben in den vergangenen Monaten ihren Job verloren, weil sie sich kritisch zur türkischen Politik geäußert haben, die Zahl der Anzeigen wegen angeblicher Präsidentenbeleidigungen ist explodiert – so weit beschreiben die offiziellen Zahlen die Lage der Pressefreiheit in der Türkei. Inoffiziell aber geht die Repression oft noch weiter. Der Journalist Kadri Gürsel verlor wegen eines einzigen Tweets zur Syrien-Politik Tayyip Erdoğans seinen Job bei Milliyet: „Mittlerweile ist die Zensur das größte Probleme der Presse meines Landes.“ Die Angst entlassen oder sogar festgenommen zu werden verhindern viele Berichte von vorneherein – zum Beispiel über die Gezi-Bewegung. Gerade eine Woche vor den türkischen Wahlen ist die Lage mehr als angespannt. Diese war das zentrale Thema des 11. Deutsch-Türkischen Lokaljournalistenseminars in Istanbul. Die deutschen Kollegen gaben ergänzend dazu Einblicke in die Herausforderung deutscher Medienhäuser, die sich meistens um die Finanzierbarkeit dreht – aber auch um neue Multimediaformate.
„Die Türkei geht durch schwierige Zeiten und die Journalisten erleben diese sehr intensiv. Lokalreporter spüren den Druck ganz besonders“, eröffnete Turgay Olcayto, der Präsident des Türkischen Journalistenverband (TJV), das Journalistenseminar gemeinsam mit Colin Dürkop und Marcus Nicolini von der Konrad Adenauer Stiftung (KAS). Deshalb sei die Solidarität unter den Journalisten besonders wichtig – und Konferenzen wie diese in Istanbul. In fünf Panels tauschten sich Journalisten aus Deutschland und der Türkei über das Selbstverständnis ihrer Branche und aktuelle Herausforderungen aus. Dabei entdeckten sie mindestens genau so viele Gemeinsamkeiten wie Unterschiede.
So haben es Tageszeitungen gerade in beiden Ländern schwer, sich zu finanzieren: Die Absatzzahlen gehen zurück, ein erfolgreiches Online-Bezahlmodell fehlt. Doch während Verlage in Deutschland versuchen, sich digital neu aufzustellen und ihre Produktreihe zu vergrößern, investieren in der Türkei oft Unternehmer in Medien mit roten Zahlen – oder sogar die Regierung. Der Lokaljournalismus hat es in vielen Regionen besonders schwer. Dabei sei er „das Herz des Journalismus“, wie Marcus Nicolini von der KAS erinnerte.
„Leser haben ein intimes Verhältnis zu ihrer Lokalzeitung – da empfinde ich betriebswirtschaftliche Entscheidungen als Vertrauensbruch“, kritisierte Wolfgang Kiesel den Sparplan mancher Redaktionen. Der Journalistencoach aus Bremen schlägt angesichts der sinkenden Auflagezahlen vor, der Berichterstattung mehr Persönlichkeit, mehr Nähe zu geben. Besonders gut lässt sich das auf lokaler Ebene umsetzen. Deshalb hat mittlerweile auch die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ Regionalteile. Stefan Schirmer erzählte auf der Konferenz von den Regionalseiten Ostdeutschlands.
Hakan Kara, Redakteur bei Cumhuriyet, sieht auch Chancen im Lokalen: „Die türkischen Medien haben viel Vertrauen verloren. Lokale Medien haben das oft noch.“ Er glaubt jedoch nicht, dass die Zukunft in gedruckten Lokalteilen liegt – sondern im Digitalen. Gerade deshalb seien junge Menschen, die sich online auskennen, so wichtig für die Medien. Ein aktuelles Beispiel für eine moderne Online-Präsenz gab Jasmin Off von der Schwäbischen Zeitung (www.schwaebische.de).
Doch wenn die Journalisten über die Möglichkeiten des World Wide Webs sprachen, dann konnten sie nicht umhin, auch die Sperrungen von Online-Portalen und Zensurmaßnahmen zu diskutieren.
Besonders das letzte Panel unterstrich die unterschiedlichen Situationen der beiden Länder: „Wenn wir uns über die Behinderung des Journalismus in Deutschland beklagen, dann auf einem sehr hohen Niveau“ sagte Manfred Redelfs, Journalistencoach und Vorstandsmitglied bei netzwerk recherche. Dennoch: „Bei uns ist auch nicht alles Gold was glänzt“, bemerkte Wolfgang Kiesel. Die WDR-Journalistin Aysegül Acevit erinnerte an die Versäumnisse im Rahmen der NSU-Morde in Deutschland – auch Journalisten hätten damals nicht genug nachgeforscht.
„In Deutschland ist es recht bequem an Informationen zu kommen. Aber wenn es so bequem ist, dann verpasst man oft etwas“, warnte Güray Öz. Der Kolumnist von Cumhuriyet recherchiert in seinem Land wenn abseits offizieller Kanäle. Die Presse wäre zwar laut der Verfassung auch in der Türkei frei, aber die Realität sähe anders aus: Gefängnis, tätliche Angriffe, Entlassungen. Eine kritische, investigative Berichterstattung wäre so kaum noch möglich. „Wir erleben gerade eine politische Tragödie – ob wir das überwinden können? Wir versuchen es“, sagte er. Mut mache, dass viele Medien das Informationsverbot nach den Anschlägen in Ankara ignoriert hätten – und ein Austausch wie auf diesem 11. Deutsch-Türkischen Lokaljournalistenseminar der KAS. „Dank Konferenzen wie dieser wissen wir, dass wir nicht alleine sind“, meinte auch Turgay Olcayto. Colin Dürkop von der KAS fügte noch hinzu: „Es bleibt die Hoffnung, dass bei unserer nächsten Konferenz die politische Lage besser ist“.
Von Finja Seroka – (Almanya Bülteni) – İstanbul
Fotos: Mathias Birsens