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 29/10/2015

Mehr als Fußball und gutes Essen

In Deutschland leben 1,4 Millionen Menschen mit türkischem Pass. Dazu kommen fast noch einmal so viele Menschen mit türkischem Migrationshintergrund.  Seit ihrer Ankunft, als das Wort „Gastarbeiter“ ihnen eine starre und funktionale Rolle zuweisen sollte,  hat sich viel getan: in der Gesellschaft und in den Köpfen der Menschen. Die türkische Gemeinde ist ein Teil von Deutschland geworden.
Doch wie sie wahrgenommen wird – das bestimmen auch die Medien. Beim 11. Deutsch-Türkischen Lokaljournalistenseminar in Istanbul haben deutsche und türkische Journalisten die Vorurteile ihrer Branche diskutiert.
„Sonne und Strand sind super, der Rest umstritten“, zitierte Giso Deussen, Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, einen Zeitungsartikel der „Welt“ zu dem Türkeibild der Deutschen. Während die Deutschen bei dem Land Türkei an die Kultur, das Essen und Strände denken, finden viele, dass zu viele türkischstämmige Menschen in Deutschland leben. Das hat die Stiftung Mercator 2013 herausgefunden.

Am Bosporus ist es offenbar genau andersherum: Die Menschen beurteilen die Deutschen besser als ihr Land, wusste Murat Erdoğan, Professor an der Universität Ankara. Den deutschen Fußball, die Gesellschaft und die Meinungsfreiheit – all das bewerten die Türken laut einer Studie positiv. Viele finden aber auch, dass die Deutschen sich zu sehr einmischen. Manche glauben sogar die von der Regierung vertretene Meinung, Deutschland habe die Gezi-Proteste organisiert. „Auch denken viele Türken, dass die Deutschen eifersüchtig sind – auf Großprojekte wie den neuen Flughafen in Istanbul. Das ist natürlich Blödsinn, aber das bringt etwas für die Politiker – denn jetzt ist Deutschland das Feindbild. Und so kann die Regierung von ihren eigenen Fehlern ablenken“, sagte Erdoğan.
Auch die EU-Mitgliedschaftsdebatte präge außerdem das Bild. „Es ist eine Love-and-Hate-Beziehung“, resümiert Erdoğan.
Die WDR-Journalistin Aysegül Acevit konnte das in gewisser Weise bestätigen: „Ich hatte oft das Gefühl, es wurde immer noch über türkische Gastarbeiter berichtet – die Weiterentwicklung wurde nicht abgebildet.“ In den deutschen Medien fänden sich viele Berichte über soziale Probleme – nicht aber über türkische Ärzte: „Man liest eher ‚Türke hat seine Frau ermordet’, als ‚Türke eröffnet Szene-Laden’. Bei positiven Geschichten werde die Nationalität nicht genannt – genau das sei aber nötig, sagte Acevit.
Der Freie Journalist Mathias Birsens fügte hinzu, dass in deutschen Medien lokale Geschichten über die Türkei bisher völlig fehlten. Das Land werde höchstens zusammen mit einer Reise der Bundeskanzlerin genannt – oder der umstrittenen Politik des Präsidenten.
Dabei sind es gerade lokale Geschichten, die Vorurteile beseitigen können: über die Türkei, Deutschland und ihre Bürger. Auch Professor Deussen meinte: „Die Berichterstattung wird sachlicher, je näher sie an den Menschen ist.“
Am Besten ist es, wenn sich die Menschen selbst kennenlernen, sich austauschen und so einen Grundstein für Sympathie und Freundschaften legen. Dann können sie selbst Einstein widerlegen. Er meinte: „Es ist leichter, einen Atomkern zu spalten als ein Vorurteil.“


Von: Finja Seroka – (Almanya Bülteni) - İstanbul

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