Talentförderung - auch für Migrantenkinder!

Die Herkunft entscheidet in unserem Land oft über Ausbildungschancen. Der Normalstudent, ein Abiturient deutscher Herkunft, der nach der Schulzeit ein Vollzeitstudium aufnimmt, ist noch immer das Maß der Dinge. Jedenfalls in der Theorie. Die Praxis an vielen Hochschulen, hier insbesondere im Ruhrgebiet, sieht schon ganz anders aus – und muss es auch, wenn wir alle Talente, die wir haben, gewinnen möchten.
Schaut man sich eine Region wie das nördliche Ruhrgebiet an, stellen wir fest, dass dem Land die Potenziale vieler junger Menschen verloren gehen. Nur
17 von 100 Kindern aus Arbeiterfamilien und Familien mit Migrationshintergrund nehmen ein Studium auf. Also 83 Kinder schaffen den Weg in die Hochschule nicht! Im Vergleich dazu, schaffen von 100 Akademiker- Kindern 70 oder mehr den Sprung in die Hochschule!Das bedeutet, es müssen verstärkt Maßnahmen in den Regionen realisiert werden, die noch Potenziale haben. Bisher hat man Regionen wie das Ruhrgebiet mit einer sozioökonomisch schwierigen Struktur und einem hohen Migrantenanteil lange durch die Defizitbrille betrachtet. Wenn es aber darum geht, Potenziale zu entdecken und zu fördern - egal welcher Herkunft oder welches Geschlecht - bietet das Ruhrgebiet viele Talente, die es zu fördern gilt!
In Gelsenkirchen als Standort zweier Hochschulen (Fachhochschule Gelsenkirchen und Fachhochschule für öffentliche Verwaltung) haben derzeit rund 50,1 Prozent der Schüler in den Grundschulen einen Migrationshintergrund - Tendenz weiter steigend. Davon entstammen etwa zwei Drittel aus türkischstämmigen Zuwandererfamilien. Ähnliche hohe Anteile an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte – und darunter türkischen bzw. türkischstämmigen Jugendlichen – sind in weiten Teilen des nördlichen Ruhrgebiets auszumachen, insbesondere im direkten Einzugsgebiet der FH GE in Duisburg, Oberhausen, Bottrop, Herne und in Teilen des Kreises Recklinghausen.
Die Fachhochschule Gelsenkirchen möchte mit ihrem Programm 'FH_ integrativ', das 2010 mit dem Deutschen Arbeitgeberpreis für Bildung ausgezeichnet wurde, einen Beitrag zur Entdeckung und Gewinnung sowie zur Förderung dieser unentdeckten Talente leisten, um so neue Perspektiven für die Region zu gewinnen. Insbesondere die Gewinnung von bisher bildungsbenachteiligten Studierenden ist ein wichtiges Ziel dieses Programms. Die Region braucht alle ihre jungen Menschen, ganz gleich welcher Herkunft!
In der Umsetzung schließt die Hochschule Gelsenkirchen wichtige Akteure wie Schulen, die Kommune und auch Migrantenselbstorganisationen mit ein. Wichtig ist hierbei, dass mit den Menschen gemeinsam und vor Ort gearbeitet wird. Mitarbeiter der Fachhochschule sind regelmäßig in den Schulen. Es werden beispielsweise Infoveranstaltungen in kleinen Gruppen in den Schulen abgehalten und Lehrer über die Möglichkeiten der Begabtenförderung informiert. Daneben werden einzelne Schüler auf Ihrem Weg in die Hochschule individuell beraten und begleitet. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Elternakademie. Hier werden gerade in Zusammenarbeit mit den Kommunen, in ausgewählten Schulen und Migrantenselbstorganisationen versucht, Strukturen aufzubauen, die es der Hochschule ermöglichen, Eltern aus hochschulfernen Schichten über das Studium zu informieren. Insbesondere jene Eltern, die man über die gängigen Informationskanäle nicht erreichen kann. Jeder Schüler, jeder Lehrer und auch die Eltern können sich von der Fachhochschule allgemein oder individuell zum Thema Studium und Stipendien informieren und beraten lassen. Derzeit werden Schulen ausgewählt, mit denen die Hochschule Kooperationsstrukturen im Rahmen von fh_integrativ aufbauen wird. Ferner werden Gespräche mit ausgewählten Migrantenorganisationen geführt, die auch in einem engen und regelmäßigen Austausch mit der FH stehen werden.
Finanziert wird das Programm fh_integrativ aus den Haushaltsmitteln der Hochschule Gelsenkirchen. Die Fachhochschule möchte stärker in der Region mit den unterschiedlichen Akteuren arbeiten und neue Wege gehen, die Zielgruppen zu erreichen, die bisher nicht für den akademischen Weg wahrgenommen wurden. Hierzu zählen die hochschulfernen Gruppen, mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, aber auch die Zielgruppen junger Frauen, die stärker für den technisch-naturwissenschaftlichen Bereich gewonnen werden sollen. Hierbei ist es auch wichtig, nachhaltige Strukturen aufzubauen.
Hierfür hat die FH Gelsenkirchen als erste Fachhochschule des Landes NRW die Stelle eines Koordinators für Talentförderung eingerichtet. Für die Koordination der Talentförderung und die Intensivierung der Zusammenarbeit der Hochschule mit Schulen, Kommunen, Verbänden, Migrantenorganisationen und anderen relevanten Akteuren im Bereich der Talentförderung ist seit Mai 2011 Suat Yılmaz zuständig. Denn die Öffnung der Hochschulen für neue Zielgruppen heute ist die beste Antwort auf den Fachkräftemangel von Morgen.