Auf Umwegen zur Zielgeraden

Wenn im April die letzten Abiturprüfungen anstehen, mutieren selbst die faulsten Schüler zu richtigen Strebern – für ein Zeugnis, das ihnen den Weg
Von Esra Güner
Wenn im April die letzten Abiturprüfungen anstehen, mutieren selbst die faulsten Schüler zu richtigen Strebern – für ein Zeugnis, das ihnen den Weg in eine goldene Zukunft ebnen soll. Doch wie die genau aussehen soll, wissen die Wenigsten. 'Erst Abi, dann schau'n' heißt die Devise.An die Vergabe der Abiturzeugnisse erinnert sich Max Lehnert* noch gut: In seiner feierlichen Rede hatte der Direktor des Gymnasiums in Aachen davon gesprochen, wie wichtig es heutzutage sei, akademische Grade zu erreichen und sich stets weiter fortzubilden. Und das alles natürlich, ohne irgendwann die Zielgerade zu verpassen.
Gerade ist der Weg bei Max bislang nicht verlaufen. Nach seinem Abitur im Jahr 2006 hat er sich erstmal etwas zuviel Zeit zur Erholung gegönnt. Die Studieninformationstage hat er verpasst, schnell waren die Bewerbungsfristen für zulassungsbeschränkte Studiengänge ausgelaufen. Er merkte, dass er sich nicht ausreichend informiert hatte. Umso dringlicher stellte sich die Frage: Was studieren?
Mit seiner Ratlosigkeit steht der heute 20-Jährige nicht allein. Nach der in diesem Jahr von dem Berliner trendence Institut durchgeführten Studie Das Deutsche Schülerbarometer haben sich mehr als 11% der Gymnasiasten noch nicht mit dem Thema Berufsplanung auseinander gesetzt.
So auch Max, der sich deshalb nach der Schule eigentlich ein Jahr Auszeit nehmen wollte. Unter dem Druck der Familie entschied er sich dann doch für ein Physik-Studium. Das Fach hatte ihn in der Schule immerhin milde interessiert, außerdem gab es keine Zulassungsbeschränkung.
Zwei Wochen später folgte der Abbruch, weil er sich das Studieren 'anders vorgestellt hatte'. Max schrieb sich noch im selben Semester für Philosophie und Germanistik ein, zufällig war in dieser Fächerkombination noch ein einziger Platz frei. Fünf Monate dauerte es, bis er merkte, dass auch das nichts für ihn war, denn statt der erhofften großen Diskussionen um große Themen setzte es stumpfes Auswendiglernen. Damit hat er innerhalb eines halben Jahres zweimal sein Studium abgebrochen. Denkt er, dass er deswegen schlechte Karten bei einem künftigen Arbeitgeber haben wird? 'Wenn ich erst einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen werde, dürfte das kein Problem sein', sagt er. 'In diesem Fall kann ich ja die Gründe erklären.'
Dass die schnurgeraden Berufswege nicht die Besten sein müssen, findet auch Franz Joisten, Berufsberater bei der Agentur für Arbeit in Aachen. Es sei jedoch wichtig, das Studienfach nicht mehr als zweimal zu wechseln, sonst werde auch der verständnisvollste Personalleiter skeptisch. Mit einem Lächeln verkündet er: 'Die größte Schwäche des Menschen ist, dass er sich selbst nicht genug kennt. Wir helfen den Abiturienten beim Finden des Berufs, der am besten zu ihnen passt, aber wir können ihn natürlich nicht auswählen.'
Max war bei den Berufsberatern, aber geholfen hätten die ihm nicht: 'Wenn ich wüsste, welche Stärken ich habe, würde ich ja auch nicht hingehen.'
Franz Joisten kann sich nicht vorstellen, dass Max nicht geholfen wurde. Eher, dass er sich die Vorschläge der Berufsberatung nicht richtig zu Eigen gemacht hat. 'Wir tasten uns zu den Fähigkeiten des Abiturienten durch. Neben den Vorlieben in der Schule spielen auch andere Faktoren eine Rolle. So sagt ein Nebenjob bei McDonalds schon aus, dass die Person sich an Termine halten, auf die Hygiene achten, flink und kundenfreundlich sein kann. Alles Eigenschaften, die den Ratlosen auszeichnen können.' Es sei wichtig, den Schülern klare Berufsbilder zu vermitteln, die sie dann für sich eliminieren oder in die engere Auswahl schicken könnten.
Auch Barbara Schulte-Zurhausen, Lehrerin des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Aachen, versucht, ihre Schüler bei der Wahl des passenden Werdegangs so gut es geht zu unterstützen. Sie sieht die Rolle der Schule in erster Linie darin, die Schüler mit so viel Information wie möglich rund um das Thema Berufsfindung zu versorgen. Zunehmend werde sie allerdings mit Schülern konfrontiert, die es in der Oberstufe gar nicht interessiert, was nach dem Abitur folgen soll. 'Heute bestimmen neben der Schule Nebenjob, Shoppen und Disco den Großteil des Alltages und lassen nur wenig Raum für Zukunftsgedanken.'
Über die Zukunft hat sich Max bis vor kurzem tatsächlich keine ernsthaften Gedanken gemacht. Doch das soll sich nun ändern. Dieses Semester hat er mit Informatik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen angefangen. Was er damit später machen möchte, weiß er auch nicht so genau. 'Erst einmal den Bachelor', sagt er mit ruhiger Stimme. Vielleicht könne er in Zukunft Computerspiele programmieren, mit dem Computer beschäftige er sich auch in seiner Freizeit gerne. Lächelnd fügt er hinzu: 'Ein bisschen Optimismus darf dabei nicht schaden.'
*Name von der Redaktion geändert