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 08/10/2013

Toleranz - überall anders!

Mert Temel


'Erst in Südafrika habe ich gelernt, was Toleranz bedeutet' Diesen Sommer hat Mert Temel
aus Hamburg Abitur gemacht. Jetzt arbeitet der gläubige Muslim seit rund vier Wochen in einem Jugendprojekt in Südafrika. Integration in Deutschland und in Südafrika - im Interview zieht Mert Vergleiche.

Mit dem Abizeugnis in der Tasche ab ans andere Ende der Welt: Freiwilligendienste im Ausland sind bei vielen jungen Menschen beliebt. Den 18-jährigen Mert hat es ganz weit Richtung Süden verschlagen. In einem Jugendprojekt im ehemaligen Township Soweto nahe Johannesburg unterrichtet Mert Deutsch, gibt Nachhilfe und hilft im Küchenteam, das jeden Tag Frühstück und Mittagessen für rund 400 junge Menschen stemmt.

Nur freitags ist er nicht bei der Essensausgabe dabei, wenn die Jugendlichen von der Schule kommen - denn dann ist Mert in der Moschee. Anschluss an die muslimische Gemeinde in Soweto zu finden war für ihn 'ganz leicht': laut des nationalen Zensus von 2001 leben in Südafrika 654 064 Muslime, das sind rund 1,5% der Gesamtbevölkerung. Viele Muslime in Südafrika haben indische Wurzeln, da indische Einwanderer in Südafrika historisch eine der größten Minderheiten darstellen. Zum Vergleich: In Deutschland leben laut einer Studie im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge von 2009 rund 4 Millionen Muslime, das sind rund 5% der Gesamtbevölkerung.

In Deutschland war Mert lange in der muslimischen Jugendgemeinde in Hamburg aktiv. Sein erster Eindruck nach rund acht Wochen in Südafrika: Prozentual weniger Muslime als in Deutschland, aber viel mehr Integrationserfolg. Klingt überraschend. Welche Gründe Mert hinter diesem Paradox wahrnimmt, schildert er im Interview mit Almanya Bülteni-Kolumnistin Siri Warrlich.


SW: Seit rund acht Wochen lebst du nun in Soweto im Süden Johannesburgs in Südafrika. Wie nimmst du das Alltagsleben von Muslimen hier wahr?
Mert: Der Umgang mit Muslimen und allgemein mit unterschiedlichen Religionen ist hier grundauf anders als in Deutschland. Erst in Südafrika habe ich gelernt, was die Begriffe 'Toleranz' und 'Religionsfreiheit' wirklich bedeuten. Was wir in Deutschland nur auf dem Papier haben, wird hier wirklich gelebt.

SW: Warum hast du Religionsfreiheit in deiner Heimatstadt Hamburg 'nur auf dem Papier' erlebt?Von Seiten staatlicher Institutionen wie zum Beispiel in der Schule fühlte ich mich als Muslim nach wie vor anders behandelt als Deutsche ohne Migrationshintergrund oder Christen. Und auch allgemein in der Gesellschaft halten sich Vorurteile hartnäckig. So viele Menschen sehen den Islam nur als Bedrohung, assoziieren die Religion mit Terrorattacken und wissen nicht, dass der Koran Terroranschläge verurteilt. Kurz bevor ich los bin nach Südafrika hat mich ein Freund gefragt, was meine Ziele für das Jahr hier sind. Ich sagte, ich habe mir vorgenommen, ein strengerer Muslim zu werden und die fünf Gebete am Tag endlich mal durchzuhalten. Da war seine Antwort gleich: 'Boah, ich hoffe du wirst kein Extremist'.

SW: Was ist in Südafrika anders?Wenn ich hier in der Stadt jemanden im Kaftan oder mit Vollbart rumlaufen sehe, erregt das in keiner Weise Aufmerksamkeit. In Hamburg gibt es viele Muslime, aber in Stadtteilen, wo Menschen den Glauben praktizieren und das zum Beispiel durch die Kleidung der Menschen sichtbar ist, erregt das nach wie vor viele schräge Blicke, Kopfschütteln und Angst. Ich versuche hier ein Mal am Tag in die Moschee zu gehen und meine Kollegen hier unterstützen das, indem sie mich flexibel arbeiten lassen und sind einfach viel aufgeschlossener und interessierter als die meisten Menschen in Deutschland, mit denen ich über meine Religion gesprochen habe. Hier habe ich das Gefühl, die Menschen sind ernsthaft interessiert an meiner Religion und wollen sich damit auseinandersetzen und wirklich was darüber dazu lernen.

SW: Welche Gründe vermutest du für diese Unterschiede zwischen der Atmosphäre in Deutschland und Südafrika?Zum einen ist meiner Meinung die Medienhetze und die sehr einseitige Darstellung von Islam und Muslimen in vielen wichtigen deutschen Medien, besonders des Axel-Springer-Verlags, also zum Beispiel Spiegel oder Bild, ein wichtiger Grund für die Angst der Menschen vor dem Islam. Wenn etwa im Spiegel die Titelgeschichte mit dem Islam zu tun hat, ist meist alles in schwarz gehalten und wirkt direkt bedrohlich.

Auf der anderen Seite ist Südafrika so krass multikulturell, dass die Menschen hier, glaube ich, besser mit Vielfalt umgehen können. Es gibt hier schließlich 12 Amtssprachen, und die Menschen tragen westliche Kleidung, verschiedene afrikanische Trachten, alles durcheinander. Da fällt ein Kaftan dazwischen einfach nicht so auf. Und die Leute sind allgemein einfach offener und interessierter als in Deutschland, und das weitet sich dann auf religiöse Themen aus. Es ist hier viel leichter, mit Fremden auf der Straße ein Gespräch zu beginnen.

SW: Wie wirkt sich diese Grundstimmung auf Integration aus?
Durch die Geschichte des Landes und die Selbstverständlichkeit, dass hier so viele verschiedene Kulturen zusammenleben, gelingt Integration meiner Meinung nach besser. Letztens war ich Guthaben für mein Handy in einem kleinen Laden kaufen und habe mit den Verkäufern dort geredet, die indische Wurzeln haben. Ich habe sie gefragt, ob sie Inder sind, aber die lachten nur und sagten: 'Was, ach quatsch, wir sind Südafrikaner!'. Das Selbstverständnis als Einwanderungsland, als total vielfältige Nation, zu der alle möglichen Hautfarben und Kulturen dazugehören können, ist hier einfach größer. Meine Kollegen empfehlen mir zum Beispiel auch immer, in der Supermarktkette einkaufen zu gehen, die einer muslimischen Familie gehört, weil es dort billiger ist. Dass das irgendwie 'schlecht' sein könnte, weil die Familie muslimisch ist, kommt hier niemanden in den Sinn.

SW: In rund zehn Monaten gehst du zurück nach Deutschland. Was können die Menschen dort in Sachen Integration von den Südafrikanern lernen?
Zum einen glaube ich, wenn muslimische Traditionen im Alltag präsenter wären, würden sich die Menschen leichter dran gewöhnen und hätten auch weniger Angst. Regeln sollten gelockert werden, es sollte zum Beispiel leichter werden, muslimische Schulen zu öffnen wie hier in Südafrika und an normalen staatlichen Schulen mit vielen Schülern mit Migrationshintergrund sollte es auch die Wahl zu muslimischem Religionsunterricht geben. Aber auch von Seiten der Muslime in Deutschland wünsche ich mir Veränderungen. Viele kapseln sich ab mit der Einstellung: 'Ach, wir werden sowieso nicht akzeptiert', ohne es überhaupt erst zu versuchen. Vielleicht sollten manche versuchen, etwas weniger auf ihre Ursprungsnation, wie etwa die Türkei, zu beharren und sich - ohne Abstriche an ihrer Religiosität - besser in die weltliche Kultur Deutschlands integrieren.

SW: Vielen Dank für das Interview und alles Gute für deine weitere Zeit in Soweto!

Siri Warrlich
Interview: Siri Warrlich*
(*=Stipendiatin der Journalisten-Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung)