Die neuen Deutschen

 

Özlem Topçus türkische Eltern rackerten sich jahrzehntelang am Fließband ab, Khuê Pham stammt aus einer vietnamesischen Akademikerfamilie. Verschiedene Kulturen, verschiedene soziale Schichten. Umso mehr überrascht das Buch, das die beiden Journalistinnen gemeinsam mit ihrer polnischstämmigen Kollegin Alice Bota verfasst haben (Wir neuen Deutschen, Rowohlt Verlag, September 2012). Denn allen kulturellen und sozialen Unterschieden zum Trotz ähneln sich ihre Geschichten.

Die drei Politikredakteurinnen der Wochenzeitung 'Die Zeit' haben den Sprung in die deutsche Meinungselite geschafft, zur eigenen Überraschung, wie es scheint: 'Hier war Deutschland besonders deutsch', schreibt Özlem Topçu. 'Da sitzen nicht Leute wie du, dachte ich, Kinder von Ausländer-Eltern, von Türken-Malochern.' Mittlerweile bezeichnen sie und ihre Kolleginnen sich selbstbewusst als 'neue Deutsche' - trotz aller Selbstzweifel.

Als Heranwachsende suchten sie ihren Platz in der deutschen Gesellschaft, sie fühlten sich entfremdet: Die Heimat der Eltern kannten sie kaum, aber wie ihre deutschen Mitschüler waren sie auch nicht. Hinzu kamen die Schuldgefühle: Gegenüber den 'daheimgebliebenen' Verwandten, die nicht im westlichen Wohlstand lebten; gegenüber den Eltern, die ausgewandert waren, um ihnen, den Kindern, ein besseres Leben zu ermöglichen. Sie, die Kinder der Auswanderer, waren scheinbar auf der Gewinnerseite: Sie lernten perfektes Deutsch, unternahmen Schüleraustausche, studierten – begleitet von dem Gefühl, nichts dafür getan zu haben. Ihr Dilemma: 'Scheitern war keine Option', denn für ihren Erfolg hatten ihre Eltern viel entbehrt.

Die Geschichten von Özlem Topçu, Alice Bota und Khuê Pham machen Hoffnung, dass eine aufstrebende Generation von Einwandererkindern endlich den Weg an die gesellschaftliche Spitze schafft. Die drei Redakteurinnen gehören zweifelsohne zum neuen Deutschland, ihr Erfolg zeigt, wie gut Integration gelingen kann. Dass dahinter allerdings viel Fleiß, Anstrengung und Disziplin steckt, wird oftmals vergessen. Denn wer einen Migrationshintergrund hat, wer aus einer Arbeiterfamilie stammt, der muss besonders viel leisten, um Erfolg zu haben. Der muss sich, seiner Familie und der Gesellschaft erst beweisen, was in ihm steckt. Deshalb bekleiden Migrantenkinder zwar mittlerweile auch Spitzenpositionen, aber bei weitem nicht in Proportion zu ihrer zahlenmäßigen Stärke in unserer Gesellschaft.

Das ist nicht gerecht, aber wahrscheinlich unvermeidlich in einer Leistungsgesellschaft, in der Aufstiegswillen und Abstiegsängste eng beieinanderliegen. Umso schöner ist es, dass trotzdem immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund erfolgreich sind – so wie Özlem Topçu, Alice Bota und Khuê Pham. Ihre Geschichten beweisen, dass auch Migrantenkinder sozial aufsteigen können. Die Bedingung hierfür: Begabung, Durchsetzungskraft und auch ein Quäntchen Glück.

 

 

Sonje Schwennsen

Freie Journalistin

(Stipendiatin der Journalisten-Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung)